31. Juli 2020

Liebe Davoserinnen und Davoser, liebe Gäste, sehr verehrte Damen und Herren

Wenn der Festredner der Bundesfeier 2019, Landrat Simi Valär, vor genau einem Jahr behauptet hätte, dass das öffentliche Leben binnen 365 Tagen nicht nur in unserer Gemeinde, unserem Kanton und unserem Land, sondern global zu einem grossen Teil zum Erliegen kommt und die Bundesfeier 2020 darob nicht stattfindet, hätte man ihn mit Sicherheit bestenfalls für unglaubwürdig, schlimmstenfalls für verrückt gehalten.

Doch genau das ist passiert. War das alles beherrschende Thema vor einem Jahr noch die Klima-Debatte, sorgt ein mikroskopisch kleines Virus innert weniger Monate dafür, dass sich die Wahrnehmung unserer brennendsten Probleme vollständig verschob. Nicht, dass das Thema Klima sich damit erledigt hätte. Doch es trat vor einem – erlauben Sie mir das Wortspiel – virulenteren Thema zumindest in den Hintergrund: Corona.

Vielleicht ging es Ihnen wie mir am Anfang auch. Als in den Medien von einem weiteren Virus die Rede war, der irgendwo in China aufgetaucht sein soll, hielt sich meine Beunruhigung zunächst in Grenzen. Schliesslich ist China weit weg. Also wie soll uns das betreffen? Dass dieses Denken in unserer hochmobilen Welt schnell überholt sein kann, wurde in den letzten Monaten wohl allen klar. Das fing nur schon damit an, dass chinesische Touristen plötzlich nicht mehr in die Schweiz durften. Schliesslich sind Gäste aus China bei uns gern gesehen und sehr willkommen – und man vermisst sie, wenn sie plötzlich nicht mehr zu uns kommen.

Doch das war – wie wir inzwischen alle wissen – nur der Anfang. Der "Fall Ischgl" öffnete vielen die Augen. Und ich muss rückblickend sagen: Zum Glück! Mit Ischgl rückte Corona in unser Bewusstsein und das nicht nur, weil Ischgl per Luftlinie nicht weiter von Davos entfernt ist als Sargans, Andeer oder Flims. Vielmehr zeigte Ischgl auch, dass das Virus nicht nur Menschen irgendwo in den Subtropen trifft, sondern auch Wintersportler und geselliges Partyvolk mitten in der Saison in den Alpen. Die Erkenntnis daraus war klar – und schmerzhaft: Es kann so nicht weitergehen.

So rieb sich denn so manch einer ungläubig die Augen, als er die von Bund und Kanton erlassenen Massnahmen, die teilweise ohne Vorlaufzeit in Kraft gesetzt wurden, vernahm. Und es gab und gibt Stimmen, die es gar nicht so schlimm finden, folglich die Massnahmen nicht nötig, zu teuer und nur ärgerlich sind. Zugegeben, es ist bislang wirklich nicht so schlimm herausgekommen. Aber nur, weil diese Massnahmen realisiert wurden. Und zwar in kürzester Zeit. Ich bin überzeugt, dass unser Land damit zahlreiche Menschenleben gerettet hat. Gerade im Kanton Graubünden sollten wir uns sehr bewusst sein, dass die erste Coronavirus-Welle für uns alle auch ganz anders hätte herauskommen können. Nur schon im Tessin präsentierte sich die Situation deutlich gravierender, von den prekären Verhältnissen in unserem südlichen Nachbarland Italien ganz zu schweigen. Dass wir davon verschont geblieben sind, ist wohl kaum nur einer glücklichen Fügung zu verdanken.

Vielmehr ist unsere Situation auf klare Regeln zurückzuführen und auf die vielen Menschen, die sie umgesetzt haben. Und zwar praktisch von Vollgas auf vollen Stopp. Wo sich gerade noch unzählige Wintersportler getummelt hatten, herrschte plötzlich Geisterstadt-Atmosphäre. Hand in Hand schufen Gemeinde, Firmen und Privatpersonen innert kürzester Zeit dringend benötigte Strukturen für die Betreuung von Kindern, für die Einhaltung der neuen und ungewohnten Hygieneregeln oder für "Social Distancing" und "Home office". Und auch die mit den Massnahmen von Bund und Kanton verbundenen Einschränkungen wurden von den allermeisten klaglos akzeptiert. Viele mussten Zwangsferien antreten, mit reduzierten Löhnen leben, Einschränkungen im Vereins- oder Privatleben hinnehmen und mit beengteren Verhältnissen etwa zu Hause umgehen.

Ich denke, dass es nicht von Ungefähr kommt, dass die Lage während der Coronavirus-Epidemie in unserem Land von vielen Beobachtern mit der Situation während des Zweiten Weltkrieges verglichen wurde. Einer Zeit, in der viele Menschen grosse Opfer brachten und sich für den Nächsten einsetzten, ohne zunächst an sich zu denken – auch wenn wir von kriegerischen Handlungen zum Glück fast ganz verschont geblieben sind. Und nun, da infolge Coronavirus viele den eigenen Willen hintenanstellen mussten, kam diese Seite, die viele schon unwiederbringlich verloren glaubten, wieder zum Vorschein. "Einer für alle, alle für einen" – dieser Wahlspruch unserer Eidgenossenschaft, der sogar die Kuppel des Bundeshauses schmückt – hat seine Bedeutung noch nicht verloren. Das haben wir in den letzten Monaten erlebt und darüber bin ich sehr glücklich, stolz und dankbar.

In solchen aussergewöhnlichen Zeiten ist es für Regierungen, wie den Bundesrat, nicht einfach. Für die einen reagierte er zu früh, für die anderen zu spät, für die einen zu forsch, für die anderen zu mutlos. Mit fundamentaler Kritik sollten wir aber vorsichtig sein. Denn unser politisches System ist ein ganz hohes Gut, das wir nicht aufs Spiel setzen sollten. Gewiss hat das Ausland zuweilen den Eindruck, die Schweizer mit ihrer direkten Demokratie hätten ein schwerfälliges Staatswesen. Vielleicht stimmt das sogar. Aber unser vermeintlich "schwerfälliges" System führt doch dazu, dass Entscheide meist in Einklang mit einer sehr grossen Mehrheit der Bevölkerung gefällt werden und sich anschliessend auch einer einzigartigen Akzeptanz erfreuen.

Was während der Coronavirus-Epidemie passierte, erfüllte diese hohen demokratischen Ansprüche teilweise nicht. Das war schlicht nicht möglich. Gewisse Dinge mussten ohne Verzögerung umgesetzt werden, im Sinne eines höheren Ziels. Das war im schon erwähnten Zweiten Weltkrieg nicht anders. Doch sprechen Sie einmal mit Angehörigen jener Generation: Sie alle sind ausgesprochen stolz, die damalige schwierige Zeit als Gemeinschaft so gut überstanden zu haben. Die Losung von General Henri Guisan damals hiess: Wir wollen durchhalten, wir können durchhalten und wir werden durchhalten! Gewiss, das klingt nach Extremsituation und die Vorzeichen sind heute anders als damals. Heute ist der Gegner ein winziges Virus, gegen das Bunker und Kanonen nichts ausrichten können. Doch die Geisteshaltung, die es uns ermöglicht, die Krise zu überstehen, ist absolut vergleichbar. "Einer für alle, alle für einen" muss eben auch jetzt gelten. Das bedeutet beispielsweise Sicherheitsvorschriften einzuhalten, auch wenn man sie lästig und in der persönlichen Situation vielleicht unnötig findet.

Und es bedeutet auch – in einem Ort wie Davos erst recht – sich auf das Hier zu besinnen. Bundesrat Ueli Maurer brachte es am 6. Mai bei der Eröffnungsrede zur Corona-Session in Bern auf den Punkt: "Machen Sie Ferien in der Schweiz!" Damit verhindern Sie nicht nur, dass das Virus einmal mehr auf der ganzen Welt herumgetragen wird, sondern Sie verhalten sich solidarisch mit der Bevölkerung unseres Landes, indem Sie Handel und Gastgewerbe vor Ort unterstützen. Jedem, der sich gegenwärtig als Gast bei uns in Davos aufhält, möchte ich darum ganz besonders herzlich danken und ihn einladen, die Vorzüge und Schönheiten unserer Gemeinde und mit ihr unseres ganzen Landes zu entdecken.

Die Coronavirus-Epidemie kann nur gemeinsam in Schach gehalten werden. Nur gemeinsam kann eine stets drohende, sehr schwierige Entwicklung abgewendet werden. "Wir wollen durchhalten, wir können durchhalten und wir werden durchhalten". Mit diesem Vorsatz werden wir uns künftig wieder alle im grossen Plenarsaal des Kongresszentrums treffen können – um in gewohnter Weise den Geburtstag unserer Schweiz gemeinsam feiern zu können.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Bundesfeiertag.